(Übersetzung des Video-Interviews aus der Bonuslektion des Onlinekurses „Professionell Reden schreiben in sieben einfachen Schritten“)
Matthias: Brian arbeitet seit über 20 Jahren als Redenschreiber. Er ist der Gründer des European Speechwriter Network, der UK Speechwriter’s Guild und der European School of Rhretoric and Public Performance. Er hat sieben Bücher geschrieben und Konferenzen für Redenschreiber in vielen verschiedenen Städten organisiert, darunter Oxford, Büssel, Amsterdam, Berlin, Paris, Edinburgh und Helsinki.
Und als wäre das noch nicht genug, um ihn auszulasten, hat er darüber hinaus noch Zeit übrig, um mit mir und den Teilnehmer meines Online-Kurses über seine Arbeit zu sprechen sowie über Weiterbildungsmöglichkeiten und Jobchancen für Redenschreiber.
Lieber Brian, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst.
Brian: Die Freude ist ganz meinerseits, Matthias.
Matthias: Lass uns gleich loslegen: Was wolltest du werden, als du 11 Jahre alt warst?
Brian: Mit 11 war ich ein riesiger Fan von Margaret Thatcher. Sie war zu der Zeit eine große politische Persönlichkeit und ich wollte Parlamentsabgeordneter werden.
Ich wusste nicht, wie man das anstellt, aber ich habe an Debatten in meiner Uni teilgenommen. Dort musste man für oder gegen vorgegebene Standpunkte argumentieren. Ich bin immer davon ausgegangen, dass man ein guter Redner sein müsse, um Politiker zu werden. Das wollte ich erreichen, seit ich ein kleiner Junge war.
Matthias: Aber dann bist du Redenschreiber geworden. Was ist schiefgelaufen?
Ich war an einer sehr angesehenen Universität – in Oxford – und viele, die heute bekannte Persönlichkeiten in der britischen Politik sind, waren damals meine Kommilitonen.
Ich wurde Mitglied der Oxford Union. Das ist ein Club, in dem die jungen Politiker der Zukunft üben, Reden zu halten. Doch ich hatte große Angst davor, dort zu sprechen und darum habe ich stattdessen für die Zeitschrift der Oxford Union geschrieben. Ich dachte, es wäre vielleicht eine gute Idee, Journalist zu werden.
Doch nach der Uni hatte ich immer noch den Wunsch, ein guter Redner zu sein. Meine Mutter hat mir darum vorgeschlagen, bei Toastmasters mitzumachen. Diesen Verein gibt es auf der ganzen Welt.
Dort kann man Reden üben, ohne Angst haben zu müssen, Fehler zu machen. An der Uni haben bei jeder Rede Hunderte Studenten zugehört. Wenn man da Fehler machte, war das sehr peinlich. Der Vorteil von Toastmasters bestand darin, dass man vor einer kleinen Gruppe üben konnte. Dort konnte man vorformulierte Reden vortragen und Stegreifreden halten.
Nach der Uni habe ich eine Ausbildung als Journalist gemacht. Ich habe bei einer der großen Zeitungen gearbeitet, die man vielleicht mit Zeitung “Die Zeit” in Deutschland vergleichen könnte. Ich strebte dort eine Karriere an. Aber weil ich immer noch so begeistert war von Toastmasters, habe ich mich gefragt, wie ich meine journalistischen Fähigkeiten nutzen könnte, um etwas anderes auszuprobieren. Als 1997 das Internet aufkam, hatte ich die Idee, eine Webseite aufzumachen, die sagte: Mein Name ist Brian Jenner und ich bin Redenschreiber. Ich habe Visitenkarten und Briefpapier drucken lassen.
Dann kam jemand auf mich zu, den ich von den Toastmasters kannte und der für den Mineralölkonzern BP arbeitete. Er hatte meine Webseite gesehen und schickte mir eine E-Mail, in der er fragte, ob ich für BP arbeiten wolle.
Darum war mein erster Job gleich ganz oben angesiedelt, nämlich als Redenschreiber für den Vorstandsvorsitzenden von BP. Ich habe das für ein Jahr gemacht, bis es bei BP zu einem Wechsel kam und jemand anderes den Job übernahm.
Dann habe ich eine Anzeige in einer bekannten Zeitschrift aufgegeben und habe mich als Redenschreiber angeboten. Ich habe bald Anrufe und Aufträge bekommen, aber weniger für geschäftliche Reden, sondern für Hochzeitsansprachen. Darin hatte ich überhaupt keine Erfahrung. Also musste ich wieder bei Null anfangen.
Meine ersten Versuche waren nicht besonders toll, aber mir wurde schnell klar, dass mein Job darin bestand, humorvolle Formulierungen zu finden. Denn Menschen, die bei einer Hochzeit die Gäste unterhalten wollen, wissen oft nicht, wo man Witze findet. Ich musste lernen, in Telefoninterviews herauszufinden, worum es in der Rede gehen sollte, wer im Publikum sitzen würde, was für eine Beziehung sie zur Braut hatten und so weiter.
Matthias: Du hast Kinder. Haben die jemals ein Interesse am Redenschreiben gezeigt? Würdest du sie ermutigen, von einer Karriere in diesem Bereich zu träumen?
Brian: Meine Kinder sind noch sehr jung, aber ich habe das hier gekauft, als ich das letzte Mal in Paris gewesen bin. (Brian hält eine Shakespeare-Puppe hoch.)
Jeder, der in der Öffentlichkeit stehen will, sollte verstehen, wie man Reden schreibt und hält, denn man kann in der Politik nicht erfolgreich sein, wenn man nicht weiß, wie man kommuniziert. Ich hoffe, meine Kinder für Sprachen interessieren zu können. Ich lese ihnen aus dem Erlkönig auf Deutsch vor, manchmal auf Latein oder Französisch. Bei uns zuhause gibt es ein großes Regal voller Bücher und ich hoffe, meine Kinder werden jedes einzelne davon lesen. Es ist noch zu früh. Meine Kinder sind drei und sechs. Aber ich werde sie auf jeden Fall dazu ermuntern, Reden zu halten und Theater zu spielen. Ich denke, dass es um diese Dinge geht, wenn man im Leben erfolgreich sein möchte.
Matthias: Nehmen wir an, deine Kinder wären schon etwas älter. Sagen wir, sie wären bereits an der Uni wollten im Anschluss Redenschreiber werden. Was wäre ein guter erster Schritt?
Brian: Viele versuchen, erst als wissenschaftlicher Mitarbeiter für einen Abgeordneten zu arbeiten. Ich habe keine Ahnung, wie man an solche Jobs rankommt. Aber wenn mich jemand anspricht und sagt, dass er sich für Politik und Reden interessiert, dann schlage ich vor, ein paar Bücher über Rhetorik zu lesen und sich dann an Lokalpolitiker zu wenden. Etwa so: Ich interessiere mich für Redenschreiben. Könnte ich vielleicht für Sie arbeiten?
Es kann bestimmt helfen, eine Praktikumsstelle zu bekommen, wenn man weiß, wie man die Leute vom Nutzen der Europäischen Union überzeugt. Die Kommunikation wichtiger öffentlicher Anliegen erfordert Strategien.
Matthias: Sagen wir, jemand ist schon mit der Uni fertig und arbeitet als Assistent eines Managers oder in einer Kommunikationsabteilung. Wenn der nun seine Karriere in Richtung Redenschreiben lenken möchte, was kann sie oder er tun?
Brian: Schreiben ist schwierig und es ist ein Job, den nicht viele Leute machen wollen. Es gibt beim Schreiben eine Verwundbarkeit, die entsteht, wenn das Ergebnis demjenigen nicht gefällt. Viele schämen sich, wenn sie eine negative Rückmeldung bekommen. In den meisten Organisationen gibt es nur wenige Leute, die sich dem aussetzen wollen und wenn man ein Talent für das Schreiben hat, werden sich bestimmt Möglichkeiten ergeben.
Man kann sich auch einfach freiwillig melden. Auch in großen und angesehenen Organisationen gibt es für das Redenschreiben oft keine ausgewiesene Stelle. Das machen dann Freiwillige aus der Kommunikationsabteilung. Wenn man auf seine Gelegenheit lauert, wird die Neigung zu Reden zu schreiben bestimmt irgendwann wahrgenommen.
Matthias: Ich bin sehr an deinen Events interessiert. Da kommen Redenschreiber aus ganz Europa zusammen. Was haben die für einen beruflichen Hintergrund?
Brian: Ich bin kein Politiker geworden, aber ich bin im Austausch mit den Redenschreibern fast aller Europäischen Regierungschefs. Wir hatten schon den Redenschreiber von Angela Merkel zu Besuch und die Redenschreiber der Premierminister aus Schweden und den Niederlanden. Diese Leute bekleiden sehr angesehene Positionen, doch sie wollen wissen, wie sie ihre Arbeit verbessern können. Und Redenschreiber ist kein Job, auf den man an der Uni vorbereitet wird.
Darüber hinaus ist es ein einsamer Job. Menschen, die in der Politik ganz nach oben kommen, sind in der Regel keine Kreativen. Von Hippietypen will ich gar nicht sprechen. Wer in diesem Umfeld kreativ sein will, der muss an seine Arbeit mit einer ganz anderen geistigen Grundeinstellung herangehen, als diejenigen, denen es hauptsächlich um Machterhalt geht.
Ursprünglich wollte ich einen britischen Redenschreiberverein aufbauen. Doch dann kamen auch Kollegen aus den Niederlanden und aus Dänemark. Die Teilnehmer genießen es sehr, sich mit Kollegen aus anderen Ländern auszutauschen. Die Vorträge sind immer sehr interessant, weil viele Redenschreiber hinter den Kulissen der Macht sehr interessante Einblicke bekommen. Jeder von denen hat spannende Geschichten zu erzählen und diese Geschichten geben Einblicke in die Kultur, die Werte und die Ideen in dem jeweiligen Land.
Daraus ist eine Gemeinschaft von Leuten geworden, die auf einem sehr hohen Niveau arbeiten, die sehr schwierige Jobs machen und die von einander lernen wollen. Wir haben Gastredner aus dem Weißen Haus, der Europäischen Kommission und der UNO.
Es gibt nur ganz wenige Leute, die auf diesen Positionen arbeiten, doch bei meinen Konferenzen kommen immer wieder so viele von ihnen zusammen, dass wir alle dabei ein paar neue Einblicke und ein wenig Spaß bekommen können.
Matthias: Aber man muss kein Redenschreiber eines Staatschefs muss, um bei deinen Events dabei zu sein. Es gibt auch Redenschreiber aus der Wirtschaft und Freiberufler. Richtig?
Brian: Auf jeden Fall. Es kommen Studenten, die Redenschreiber werden wollen, Freiberufler, von denen einige auch Hochzeitsreden schreiben, Mitglieder der Toastmasters, Menschen, die für Wohltätigkeitsorganisationen oder ehrenamtlich tätig sind. Es ist eine Gemeinschaft von Menschen mit einer gemeinsamen Leidenschaft für Sprache, Politik, Literatur und Kreativität.
Matthias: Und deine Events bringen alle diese Menschen zusammen, von denen einige auf einer sehr hohen politischen Ebene arbeiten.
Brian: Redenschreiben ist eine Tätigkeit, die oft in Isolation stattfindet. Die allerwenigsten arbeiten in einem Team. Meine Konferenzen sorgen für Gesellschaft und Austausch. Manchmal, wenn ich einen bestimmten Redenschreiber im Internet suche, bin ich überrascht, dass wir 30 gemeinsame Kontakte haben. Das liegt dann daran, dass derjenige bei einer meiner Veranstaltungen gewesen ist. Und weil die Leute da zwei oder drei Tage zusammen zu verbringen, gemeinsam essen, an Wettbewerben teilnehmen oder spazierengehen, verstehen sie sich anschließend manchmal besser mit Redenschreibern aus einem anderen Land als mit den Kollegen im eigenen Büro.
Matthias: Bei deinen Veranstaltungen triffst du Redenschreiber aus ganz Europa und darüber hinaus. Was denkst du: Gibt es einen Bedarf für Redenschreiber auf dem europäischen Arbeitsmarkt oder einen Bedarf für diese Dienstleistung insgesamt?
Brian: Ich denke, Redenschreiber ist ein Beruf, in dem man eher zufällig landet. Es ist normalerweise kein Job, den man im alter von 11 Jahren anstrebt und verfolgt. Doch es gibt natürlich auch Beispiele von jungen Leuten in den USA, die sich vorgenommen haben, Reden für den Präsidenten zu schreiben und denen das tatsächlich gelungen ist.
Auf Linkedin oder im Internet findet man immer wieder Stellenausschreibungen von internationalen Organisationen wie der Nato oder der EU-Komission oder auch von Universitäten, die Redenschreiber suchen. Und wenn man neben Deutsch auch gut Englisch spricht und auch in beiden Sprachen vernünftig Schreiben kann, hat man gute Chancen.
Doch viele sehen das Redenschreiben auch nur als Sprungbrett. Dort bekommt man Zugang zu den Leuten an der Spitze und nach zwei bis drei Jahren in dem Job zeihen sie weiter. Bei uns in Großbritannien gibt es zwei bekannte Beispiele: James Cameron und George Osborne. Beide haben eine Zeit lang als Redenschreiber gearbeitet, bevor sie zu Spitzenpolitikern aufgestiegen sind.
Doch selbst kleinere Organisationen brauchen Leute, die in diesem Bereich Verantwortung übernehmen. Dazu gehört das Redenschreiben, aber auch das Füttern der Social-Media-Kanäle oder das Schreiben von Skripten für Videos. Es gibt tausende Jobs in Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, wo diese Fähigkeiten gebraucht werden.
Ich bin der Meinung: Wer gut Schreiben kann, wird immer einen Job haben.
Matthias: Wenn die Teilnehmer meines Onlinekurses mehr über dich und deine Events erfahren möchten, wo sollten sie am besten nachschauen?
Brian: europeanspeechwriters.org ist die Webseite des European Speechwriter Network. Dort posten wir immer die neuesten Events.
Darüber hinaus habe ich vor einiger Zeit die European School of Rhetoric and Public Performance gegründet, weil es mir wichtig ist, junge Leuten zu helfen, engagierte Bürgern zu werden. Die Webseite dazu ist euschoolofrhetoric.org.
Ich habe auch eine Webseite und einen Linkedin-Account. Man kann mich googlen unter Brian Jenner. Mir ist es wichtig, in ganz Europa ein Interesse für diese Themen zu wecken und eine und eine verlorene Tradition wiederaufleben zu lassen, in der sich die europäischen Gelehrten alle auf Altgriechisch oder Latein verständigen konnten und Cicero und Erasmus studiert haben.
Mir ist es sehr wichtig, dass junge Menschen an meinen Events teilnehmen, darum biete ich unter Umständen auch Preisnachlässe an. Es ist eine sehr missionarische Tätigkeit, Menschen dazu zu motivieren, Reden zu halten oder an Debatten teilzunehmen.
Matthias: Bevor wir zum Ende kommen, lieber Brian, möchte ich die Gelegenheit nutzen und dir ganz herzlich für deine Arbeit danken. Ich finde es nämlich absolut großartig dass es Konferenzen gibt sogar über die Landesgrenzen hinaus, bei denen Leute wie ich, die in einer so kleinen Nische arbeiten, Menschen kennenlernen können, Verbindungen knüpfen, sowie Denkanstöße und Inspiration finden . Ich hoffe, du machst diesen Job noch sehr lange.