Die meisten Redner nennen in ihren Vorträgen an der einen oder anderen Stelle Zahlen oder Prozentwerte. Doch viele erregen damit bei ihren Zuhörern weniger Interesse als Unverständnis oder Langeweile. Nur den wenigsten Rednern gelingt es, ihr Publikum mit Zahlen und Prozentwerten zu faszinieren. Wie machen die das bloß?
Oft lesen Redner in ihren Vorträgen Zahlen ab, die sie zuvor einfach aus dem Geschäftsbericht in ihr Redemanuskript kopiert haben. Das hört sich dann ungefähr so an:
„Die gute Weiterentwicklung unseres Unternehmens spiegelt sich in den Unternehmenskennzahlen des Jahres 2014 deutlich wider. Dazu im Einzelnen: Wir haben den Umsatz des Konzerns organisch um 4,7 Prozent gesteigert. Nominal lag das Umsatzwachstum bei 2,3 Prozent und stieg von 6,141 Milliarden Euro auf 6,285 Milliarden Euro. Das EBIT verbesserte sich ohne Sondereffekte von 814 Millionen Euro um 5,9 Prozent auf 861 Millionen.“ (Aus der Rede von Stefan F. Heidenreich zur Hauptversammlung der Beiersdorf AG im März 2015)
Jetzt stellen Sie sich einmal vor, jemand geht zum Rednerpult und beginnt seine Rede folgendermaßen:
„Ich habe neulich etwas Bemerkenswertes getan. Auf den ersten Blick war es sogar lebensgefährlich. Ich war an einem Ort, da waren es minus 50 Grad. Die Temperatur war niedriger als in der Antarktis. Der Anteil an Sauerstoff in der Luft war dort so gering, dass ich ohne künstliche Unterstützung in weniger als einer Minute das Bewusstsein verloren hätte.
Ich habe mich mit über 200 Metern pro Sekunde vorwärts bewegt. Schneller als in einem Rennwagen. Geschützt war ich von einer Metallhülle, die weniger als fünf Millimeter dick gewesen ist.
Es war eine gute Erfahrung. Nächste Woche werde ich es wieder tun. Einige von Ihnen machen es sogar schon heute Abend. Genau dasselbe tun Millionen von Menschen jeden Tag – immer dann, wenn sie in einem Verkehrsflugzeug reisen.“ (Aus einen Vortrag von Nicholas Wyke auf der European Speechwriter Conference in Berlin im September 2015)
Die Beispiele zeigen: Zahlen können die Zuhörer hellauf begeistern oder zu Tode langweilen. Doch nicht nur das: Zahlen können die Argumentation des Redners wirksam untermauern oder sein Anliegen unglaubhaft erscheinen lassen.
Das liegt daran, dass man mit denselben Zahlen gegensätzliche Argumente untermauern kann. Das weiß aber nicht nur der Redner. Das spürt auch das Publikum.
Stellen Sie sich zum Beispiel einmal vor, Sie sind Redenschreiber bei einer Fluggesellschaft.
Sie könnten sagen, dass Ihre Fluggäste heute innerhalb Europas ein Flugzeug besteigen und damit 1 000 Jahre über den Kontinent reisen können, ohne dass sie jemals einen Zwischenfall erleben. Denn Unfälle und andere Zwischenfälle passieren extrem selten. Seltener als bei einem von einer Million Flügen.
Jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie sind Redenschreiber bei einer Firma, die sich für mehr Sicherheit im Flugverkehr einsetzt.
Sie könnten sagen, dass es allein in Europa knapp einmal pro Monat im Luftverkehr einen Zwischenfall gibt. Denn allein in Europa gibt es mehr als zehn Millionen Passagierflüge im Jahr.
Die Beispiele machen klar, warum Zahlen Misstrauen wecken. Mit Zahlen lässt sich alles belegen. Zahlen müssen daher so anschaulich gemacht werden, dass das Publikum sie verstehen und problemlos nachvollziehen kann. So vermeidet der Redner, dass die Zuhörer sich an der Nase herumgeführt fühlen.
Wie man das macht, zeigen die folgenden sieben goldenen Regeln zum Umgang mit Zahlen in Reden und Vorträgen.
1. Besonders große Zahlen herunterbrennen
Im November 2014 hat der Deutsche Bundestag den Bundeshaushalt für das Jahr 2015 mit Ausgaben in Höhe von 299,1 Milliarden Euro verabschiedet. Eine kaum mehr greifbare Zahl. Wenn man sich aber überlegt, dass es knapp 4 000 Euro pro Bürger sind, bekommt der Zuhörer eine bessere Vorstellung von der Höhe des Etats.
Wenn der Redner dann noch hinzufügt, dass der Verteidigungshaushalt bei circa 30 Milliarden Euro liegt und der Staat somit für die Verteidigung jedes einzelnen Bürgers im Jahr 2015 etwa 400 Euro ausgeben will, wird die Zahl noch fassbarer. Großen Zahlen werden verständlich, wenn sie auf kleinere Zahlen und Größen heruntergebrochen werden.
2. Wahrscheinlichkeiten anschaulich machen
Wer beim Lotto sechs Zahlen und die Superzahl richtig tippt, bekommt den Jackpot. Die Chance dafür liegt bei etwa 1 zu 140 Millionen. Das ist eine Zahl, die niemand verstehen kann. Hier bietet es sich an, Ereignisse mit vergleichbarer Wahrscheinlichkeit zu finden.
Laut Forbes hat der Schauspieler Dwayne „The Rock“ Johnson im Jahr 2014 Gagen und Werbegelder in Höhe von 52 Millionen Dollar erzielt. Die Wahrscheinlichkeit, wie Johnson Filmstar zu werden, liegt mit 1 zu 1,5 Millionen noch um mehr als 100 Mal höher als die eines Lottogewinns.
Wer nur im Lotto gewinnen will, um seine Erfolgschancen beim anderen Geschlecht zu erhöhen: Auch ohne Millionen auf dem Konto liegt die Wahrscheinlichkeit, ein Supermodel als Freundin zu haben, bei 1 zu 88 000. Da die wenigsten Zuhörer weder einen Hollywood-Schauspieler noch ein Supermodel persönlich kennen, wird es zumindest ein wenig anschaulicher, wie extrem unwahrscheinlich es ist, im Lotto zu gewinnen.
3. Vorsicht beim Verwenden von Vergleichsgrößen
Wenn gesagt wird, dass es wahrscheinlicher ist, bei Olympia zu gewinnen als im Lotto, dann können sich viele Menschen etwas darunter vorstellen. Das liegt daran, dass jeder eine ungefähre Idee von Lotto und von Olympia hat. Wenn aber gesagt wird, dass die Menschen in Europa mehr Geld für Würstchen ausgeben als für Flugreisen, gelangt der Durchschnittsbürger schnell an die Grenzen seiner Vorstellungskraft.
Wenn in einer Fernsehdokumentation gesagt wird, dass ein bestimmter Wal so lang und so schwer ist wie ein Doppeldeckerbus, dann erscheint das auf den ersten Blick plausibel.
Doch wie lang und wie schwer ist ein Doppeldeckerbus eigentlich? Wissen Sie es? Oder wäre hier eine Angabe von zwölf Metern und achteinhalb Tonnen für Sie verständlicher gewesen?
Über den Doppeldeckerbus könnte man noch streiten. Doch bei Aussagen wie „hat eine Fläche von 180 Fußballfeldern“ oder „eine halbe Million Badewannen voll Öl sind ins Meer gelaufen“ hat wohl kaum jemand eine Idee, worum es geht.
Wenn Vergleichsgrößen verwendet werden, müssen sie beim Publikum eine konkrete und klare Vorstellung auslösen.
4. Wichtige Zahlen wiederholen
Anders als in einem Text können die Zuhörer einer Rede wichtige Punkte nicht mit dem Stift unterstreichen oder bei Bedarf zu der Zahl zurückblättern. Damit die Zuhörer wichtige Zahlen im Kopf behalten, sollten diese in der Rede mehrfach genannt werden.
Tests haben ergeben, dass Zahlen sich am besten in der Erinnerung der Zuhörer festsetzen, wenn sie im Verlauf einer Rede drei Mal genannt werden.
5. Wichtige Zahlen mit einem Quiz ankündigen
Vor allem bei Werten, die die meisten Menschen nicht erwartet hätten, kann der Redner das Nennen der Zahl mit einer Fragerunde einleiten. So setzen sich die Zuhörer mit der Frage intensiver auseinander, als wenn die Zahl einfach nur genannt würde.
Ein Beispiel: „Wie viele Kinder auf der Welt sind gegen Masern geimpft? Sind es vier von zehn, fünf von zehn, sechs, sieben oder acht von zehn?“
Viele Menschen glauben, eine Frage wie diese annähernd akkurat beantworten zu können. Der Redner holt vom Publikum Antworten ein, zum Beispiel durch Handzeichen. Dadurch erfährt das Publikum auch die Einschätzung der anderen Zuhörer. Die Antwort lautet übrigens: 83 Prozent aller Kinder auf der Welt sind gegen Masern geimpft. Hätten Sie es gewusst? Werden Sie sich morgen noch an diese Zahl erinnern?
6. Im Zweifel gegen die Zahl
Ein Problem beim Verwenden von Zahlen besteht darin, dass die meisten Zuhörer wenig damit anfangen können. Zahlreiche Menschen leiden sogar unter einer Zahlenblindheit oder Rechenschwäche, der sogenannten Dyskalkulie.
Anderen fehlt einfach die Fähigkeit oder die Übung, abstrakt zu denken. Doch das ist für den Umgang mit Zahlen zwingend erforderlich. Selbst bei Mathematikern und Wirtschaftsfachleuten sinkt bei zunehmender Müdigkeit und Erschöpfung die Fähigkeit, Informationen über Zahlen aufzunehmen und geistig zu verarbeiten.
In Reden können die Zuhörer, anders als die Leser eines Geschäftsberichts, zudem nicht zurückblättern oder die Zahlen im Kopf kurz nachrechnen. Um nicht Teile des Publikums von vornherein vom Empfang der Botschaft auszuschließen, müssen Zahlen in Reden so aufbereitet werden, dass jeder Zuhörer sie verstehen kann.
Besteht Zweifel, dass das Publikum oder Teile des Publikums eine Zahl nachvollziehen können, sollte diese anschaulicher erläutert oder ganz aus dem Redemanuskript gestrichen werden.
7. Zahlen müssen stimmen
Wenn Sie in Ihrer Rede Zahlen verwenden, müssen diese unbedingt korrekt sein. Denn noch nie konnten Zahlen so schnell überprüft werden. Und noch nie konnte die Benutzung falscher Zahlen so schnell an die Öffentlichkeit gebracht werden wie heute.
Mit einem Smartphone kann jeder Zuhörer der Rede die Zahlen überprüfen und Fehler über soziale Netzwerke öffentlich machen, noch bevor Sie zu Ende gesprochen haben. Zahlreiche Blogger haben sich darauf spezialisiert, Zahlen in Reden auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und auch kleinste Unkorrektheiten im Internet anzuprangern.
Fazit
Zahlen können in Reden genannt werden und sie sollten in Reden genannt werden. Denn richtig eingesetzt, sind Zahlen ein kraftvolles und effektives Mittel, um Gedanken und Ideen zu vermitteln.
Redner und Redenschreiber sollten sich aber bei jeder einzelnen Zahl, die sie in einer Rede verwenden, folgende grundsätzliche Fragen stellen: Warum benutze ich diese Zahl in meiner Rede? Wie genau unterstützt die Zahl die Botschaft, die dem Publikum in der Rede mitgeteilt werden soll? Wird das Publikum die Zahl und ihre Bedeutung verstehen?
Benötigen Sie Hilfe bei der Vorbereitung Ihrer nächsten Rede? Möchten Sie das Handwerk des Redenschreibens selbst lernen? Schreiben Sie mir eine E-Mail oder rufen Sie mich an (030 288 679 84). Als erfahrener Redenschreiber habe ich die passende Lösung für Sie.