Reden mit einer klaren Gliederung machen nicht nur den Zuhörern das Zuhören leichter. Sie helfen auch den Redenschreibern beim Redenschreiben.
Vor einigen Jahren gab ich zum ersten Mal ein Seminar zum Redenschreiben. Obwohl ich damals noch wenig Erfahrung mit dem Unterrichten hatte, lief es am Anfang ziemlich gut. Die Teilnehmer* waren motiviert und arbeiteten begeistert mit – allerdings nur bis zu dem Punkt, wo es um Aufbau und Gliederung von Redetexten ging.
“Ohne Struktur fühlt sich das Schreiben an,
als hätte man einen Karton voll Lametta aber keinen Weihnachtsbaum.”
― Anne Lamott (Bird by Bird)
Dort warb ich dafür, vor dem Schreiben jeder Rede zunächst eine Gliederung anzulegen. Die Teilnehmer sollten sich genau überlegen, was in ihrer Rede gesagt werden sollte und an welcher Stelle im Text sie es am besten unterbringen könnten. Erst dann sollten sie mit der Arbeit an ihrem Text beginnen.
Ich hatte angenommen, es würde leicht sein, meine Seminarteilnehmer von dieser Herangehensweise zu überzeugen. Doch stattdessen bekam ich eine Vorstellung davon, wie sich der Perserkönig Xerxes gefühlt haben muss, als sich ihm bei den Thermopylen die Spartaner in den Weg stellten.
Viele Teilnehmer waren der Ansicht, dass eine starre Gliederung ihre Kreativität beeinträchtigen würde. Andere schienen keine Lust zu haben, eine Gliederung in einen fertigen Text zu übertragen. Und nahezu alle Teilnehmer hatten die Befürchtung, zu viel Struktur könnte ihre Rede unelegant oder gar hölzern erscheinen lassen.
Argumente dieser Art sind mir seitdem immer wieder begegnet, in Seminaren, auf Redenschreiberkonferenzen und in Rhetorikratgebern. Beim Schreiben müsse sich eins aus dem anderen ergeben, heißt es da. So entstehe am Ende ein roter Faden und der Gedankenfluss werde beim Schreiben nicht gebremst.
Meinetwegen. Aber um ehrlich zu sein, habe ich bei meiner Arbeit manchmal einfach keine tollen Ideen, ganz zu schweigen von der Zeit, sie fließen zu lassen. Vielmehr stehe ich regelmäßig vor der Herausforderung, eine Botschaft zusammen mit einer Reihe von Daten und Fakten in kürzester Zeit in einen verständlichen Redetext zu packen. Der einfachste und schnellste Weg, das zu erreichen, besteht darin, eine Gliederung anzulegen und sich beim Schreiben von Unterpunkt zu Unterpunkt zu hangeln. Dabei entsteht zwar selten große Redekunst, aber immer sehr solides Redehandwerk.
Nach meinem ersten Seminar habe ich darum überlegt, was ich tun könnte, um die Teilnehmer zukünftiger Lehrgänge besser vom Sinn und Zweck meiner Methode zu überzeugen. Dann kam mir die Idee:
Was könnte besser geeignet sein, um für strukturierte Texte zu werben, als ein strukturierter Text?
Darum werde ich nun versuchen, Ihnen anhand dreier Punkte die Vorzüge durchgegliederter Redetexte näherzubringen. Ich bin sicher: Danach werden auch Sie von meiner Herangehensweise überzeugt sein.
Dies sind meine drei Argumente:
- Klare Strukturen beschränken nicht die Kreativität. Sie schaffen ein günstiges Umfeld für Ideen.
- Klare Strukturen erleichtern das Zuhören, weil das Publikum zu jeder Zeit genau weiß, an welchem Punkt seines Gedankengangs der Redner sich befindet.
- Klare Strukturen erleichtern das Redenschreiben, weil der Autor nie den Überblick verliert.
Beginnen wir mit meinem ersten Punkt: Strukturen fördern Kreativität.
Manche Menschen liegen tagelang im Bett, essen kalte Pizza und waschen sich nicht. Doch mit einem Mal springen sie auf, rennen zum Schreibtisch und fangen an zu schreiben. Sie lassen die Ideen einfach fließen und bei manchen – Jack Kerouac zum Beispiel – steht am Ende ein Weltbestseller. Diese Menschen können am besten kreativ sein, wenn sie keinerlei Beschränkungen unterliegen. Es gibt diese Menschen tatsächlich – doch es gibt sie nur sehr selten.
Die meisten von uns fühlen sich von zu viel Freiheit nicht inspiriert, sondern überfordert. Die meisten müssen erst einen Überblick über das gesamte Werk bekommen, bevor sie sich einem einzelnen Punkt in Ruhe zuwenden können.
Eine vorgegebene Struktur erlaubt es Redenschreibern, sich auf einen einzigen Unterpunkt zu konzentrieren und dabei alle anderen Inhalte der Rede auszublenden. Im Kopf entsteht dadurch ein geschützter Raum. Dieser Raum bietet Platz für Ideen.
Zu meinem zweiten Punkt: Strukturen erleichtern das Zuhören.
Einer Rede zuzuhören, ist etwas anderes, als einen Text zu lesen. Die Zuhörer können vorher nicht das Inhaltsverzeichnis anschauen. Auch können sie während der Rede einzelne Sätze nicht noch einmal lesen. Und sie können nicht zurückblättern, wenn ihnen mal ein Detail entfallen ist.
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Eine vorgegebene Gliederung erlaubt den Zuhörern, den Überblick zu behalten. Sie ermöglicht es ihnen sogar, im Verlauf der Rede selbst zu entscheiden, welchen Punkten sie besondere Aufmerksamkeit schenken wollen und bei welchen sie lieber weghören.
Das gilt natürlich auch für geschriebene Texte wie diesen Blogartikel. Falls Sie mein nächstes Argument nicht interessiert, springen Sie einfach drei Absätze weiter nach unten und lesen Sie mein Fazit.
Oder Sie beschäftigen sich noch kurz mit meinem dritten Argument: Strukturen erleichtern das Redenschreiben.
Redenschreiber stehen oft vor der Herausforderung, eine Vielzahl von Inhalten so zu verpacken, dass sie vom Publikum verstanden werden. Oft hat der Redenschreiber eine Liste mit Zahlen, Fakten und Argumenten vor sich, die unbedingt in die Rede hineinsollen.
Wer zunächst eine Gliederung (erstens, zweitens, drittens; a, b, c usw.) anlegt, kann die verschiedenen Inhalte seiner Rede anschließend den Unterpunkten zuordnen – ähnlich wie jemand, der nach dem Spülen Messer, Gabel und Löffel in eine Besteckschublade einsortiert.
Der Redenschreiber behält dabei den Überblick darüber, ob seine Inhalte gleichmäßig verteilt sind. Er sieht, ob an einer Stelle noch ein Argument fehlt. Und er weiß genau, wo sich jedes einzelne Teil befindet, wenn es später darum geht, seine Sätze zu polieren.
Eingangs hatte ich Ihnen versprochen, Sie mit drei Punkten davon zu überzeugen, dass Reden von einer klaren Gliederung enorm profitieren. Nun müssen Sie selbst entscheiden, ob mein kleines Plädoyer Sie überzeugt hat oder ob Ihnen mein Text hölzern vorkam.
Falls Sie noch unentschieden sind, schlage ich vor, Sie probieren es bei Ihrer nächsten Rede selbst einmal aus. Dabei werden Sie einen weiteren Vorteil meiner Methode entdecken: Sie sparen viel Zeit. Das Schreiben dieses Blogbeitrags zum Beispiel hat nur etwa eine Dreiviertelstunde gedauert.