Eine Gruppe von Freunden steht am Tresen. Einer von ihnen ist gerade von einer mehrwöchigen Afrikareise zurückgekehrt und brennt darauf, den anderen von seinen Erlebnissen zu berichten. Doch die Aufmerksamkeit der Umstehenden gilt nicht ihm, sondern den Erzählungen eines anderen Kneipenbesuchers, der gerade von seinem Urlaub auf einem Campingplatz in der Eifel zurückgekehrt ist.
Keine ungewöhnliche Situation. Das Ohr der Zuhörer haben oft nicht diejenigen, die eine spannende Geschichten erlebt haben, sondern diejenigen, die eine alltägliche Geschichte spannend erzählen können.
Der Campingplatz-Tourist aus dem Beispiel gehört wahrscheinlich zu den Menschen, die einfach ein natürliches Talent zum Geschichten erzählen haben. Doch kann auch jemand, dem das Talent fehlt, lernen, wie man eine Anekdote lustig und unterhaltsam erzählt?
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Tatsache ist: Gute Geschichten folgen Gesetzmäßigkeiten. Die Struktur von spannenden Anekdoten kann man lernen – und das ist gar nicht schwer. Doch Kenntnisse über die Struktur von Geschichten reichen nicht aus. Wer ein guter Geschichtenerzähler werden will, muss viel üben.
Der Campingplatz-Tourist aus dem Beispiel erzählt wahrscheinlich seit seiner Kindheit leidenschaftlich gerne Geschichten. Viele seiner Storys hat er schon unzählige Male erzählt, und er weiß aus Erfahrung, wie er die Details seiner Geschichte rüberbringen muss, um bei seinen Zuhörern Begeisterung auszulösen.
Entscheidend ist es dabei, in welcher Reihenfolge er die Fakten seiner Geschichte präsentiert. Denn Humor ist Wissensmanagement. Es kommt darauf an, welche Informationen der Erzähler bereits zu Beginn seiner Geschichte preisgibt und welche er bis kurz vor dem Schluss zurückbehält.
Fast alle Anekdoten haben das Potenzial, lustig und spannend zu sein. Doch die meisten Redner verschenken die Gelegenheit dazu, weil sie die Fakten in der falschen Reihenfolge präsentieren.
Ein Beispiel: Ein Rechtsprofessor aus Berlin hält eine Rede vor Rechtsanwälten in Frankfurt am Main. Bei Frankfurt denkt er an Goethe, der dort geboren wurde, und guckt nach, was Goethe über Rechtsanwälte geschrieben hat.
Zu seiner Freude stößt er auf zwei Zitate. Darin bezeichnet der Dichterfürst die Angehörigen seiner Berufsgruppe – mit größter Zurückhaltung formuliert – als Armleuchter.
Das hat Komikpotenzial, denkt der Berliner Professor, und als er dann noch liest, dass Goethe selbst Jura studiert hat und in Frankfurt sogar kurzzeitig eine eigene Anwaltskanzlei betrieb, macht er sich voller Elan ans Werk. Sein erster Redeeinstieg lautet so:
„Liebes Publikum, ich soll heute in Frankfurt eine Rede halten. Bei Frankfurt dachte ich gleich an Goethe. Doch obwohl der Dichter selbst Jurist war und sogar eine eigene Kanzlei in Frankfurt hatte, war er der Ansicht, alle Anwälte seien Armleuchter.“
Dieser Redeeinstieg ist für den Anfang nicht schlecht. Wirklich prickelnd ist er aber nicht.
Die entscheidende Technik, um Anekdote spannend zu erzählen, ist die Überraschung. Die erzielt der Redner, wenn er seine Zuhörer zunächst auf die falsche Fährte lockt. Dieselben Fakten aus dem Redeeinstieg ließen sich auch so präsentieren:
„Als Rechtsprofessor aus Berlin kenne ich mich in Frankfurt nicht gut aus. Darum habe ich mich, als ich die heutige Rede vorbereitete, gefragt, wer mir wohl helfen könnte, für diesen Anlass die passenden Worte zu finden.“
Die Zuhörer überlegen sich: Wen hat der Redner wohl gefragt?
„Ich suchte Rat bei einem Mann, den Sie alle kennen. Er wurde in Frankfurt geboren und hat hier an der Uni Jura studiert. Ich suchte Rat bei einem, der zu Beginn seiner großen Karriere selbst einmal eine kleine Anwaltskanzlei in Frankfurt betrieben hat.“
In ihrem Geiste überlegen die Zuhörer nun fieberhaft, welchen ihrer Anwaltskollegen aus Frankfurt der Redner aus Berlin wohl angerufen haben könnte. Dann kommt die Überraschung:
„Ich suchte Rat bei Goethe.“
Jetzt, wo das Publikum ein wenig erheitert ist, kann der Redner mit den Zitaten noch eins obendrauf setzen. „Doch nach näheren Recherchen kamen mir Zweifel, ob der Kollege Goethe tatsächlich der richtige Ansprechpartner war.“
Jetzt erst kommen die Zitate:
„Denn Goethe war der Ansicht, alle Anwälte seien Armleuchter.“
Dass der Rechtsprofessor den großen Dichter als „Kollegen“ bezeichnet, verstärkt den Humor noch ein klein wenig. Es sind dieselben Fakten. Doch die unterschiedliche Reihenfolge der Erzählung verleiht dem Redeeinstieg eine völlig andere Wirkung.
Die überraschende Anordnung der Fakten ist eine sehr einfache Technik, die ihre Wirkung nie verfehlt. Humor in Reden und anderen Texten ist planbar. Wer Witz und Pointen gezielt einsetzen will, muss jedoch verstehen, wie Humor funktioniert. Gags sind nämlich kein Zufallsprodukt, sondern lassen sich mithilfe einer Humorformel konstruieren.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie die überraschende Anordnung von Fakten einer Rede zu Schwung verhelfen kann, stammt aus der Abiturrede eines Gymnasialdirektors. Der Schulleiter will in seiner Ansprache auf der Abiturfeier die provokative Frage aufwerfen, ob ein Abi für eine große Karriere überhaupt eine zwingende Voraussetzung sei.
Dazu sammelt er Namen und Zitate von berühmten Personen ohne Hochschulreife. Beispiele dafür gibt es reichlich, von Joschka Fischer bis Robert de Niro. Bei seiner Recherche stößt der Direktor auch auf ein Zitat des Rap-Musikers Sido, der mit bürgerlichem Namen Paul Würdig heißt. Sido sagt, dass er froh sei, kein Abitur gemacht zu haben. Dies wäre für eine Karriere als Rap-Musiker sogar hinderlich gewesen.
Wie soll der Schuldirektor diese Informationen in seiner Rede anordnen, um seine Zuhörer zu überraschen? Eine Möglichkeit liegt darin, seinen Informationsvorteil zu nutzen. Der besteht hier darin, dass vermutlich die wenigsten Zuhörer wissen, dass der Rapper Sido einen sehr gewöhnlichen bürgerlichen Namen hat, nämlich Paul Würdig.
Unser Schuldirektor könnte die Passage seiner Rede folgendermaßen aufbauen: „Braucht man eigentlich Abitur? Wozu? Viele berühmte Männer sind ohne ausgekommen. Joschka Fischer hat kein Abi, Robert de Niro hat kein Abi. Nicht einmal Paul Würdig hat eins. Würdig sagt sogar, mit einem Abitur hätte er niemals eine so große Karriere hinlegen können. Sie fragen sich, wer Paul Würdig ist? Sie kennen ihn unter seinem Künstlernamen. Der lautet Sido.“
Dies ist zwar nicht der Gag des Jahrhunderts, aber ganz sicher wird diese Passage den Zuhörern ein Schmunzeln in die Gesichter zaubern. Und sie wird neugierig machen auf das, was der Schuldirektor im Anschluss zu sagen hat.
Und genau darum geht es. Ein guter Erzähler unterscheidet sich von einem mittelmäßigen Erzähler dadurch, dass er Neugierde weckt auf das was kommt und die Zuhörer immer wieder aufs Neue überrascht.
Ein drittes Beispiel: Jarrid Wilson ist ein verheirateter Pastor und Autor aus Bellingham in den USA. In seinem Blog veröffentlichte er vor einiger Zeit einen Beitrag mit der Überschrift: „Ich möchte eine Beichte ablegen: Ich date eine Frau, obwohl ich verheiratet bin.“
Die Überschrift gepaart mit der Tatsache, dass Wilson Priester ist, zieht die Leser in ihren Bann. Sein Publikum erwartet ein Untreuegeständnis und schlüpfrige Details aus der Affäre des Priesters.
Doch die Erwartungen werden enttäuscht. Im Text ist von Reue keine Spur. Wilson schwärmt davon, wie schön es ist, zu daten, obwohl man verheiratet ist. Er empfiehlt seinen Lesern sogar, es selbst einmal zu versuchen. Die Neugier der Leser des Blogs steigt dadurch noch weiter. Sie fragen sich: Was um Himmels Willen ist da los?
Erst jetzt gibt der Autor preis, worum es in seinem Artikel geht: Die Frau die er datet, ist seine Ehefrau. In dem Artikel geht es darum, wie man das Feuer in einer Ehe neu entfachen kann.
Jarrid hat bei seinen Lesern Erwartungen geweckt, er hat diese Erwartungen enttäuscht und sein Publikum dann auch noch überrascht. Wenn er nun darüber schreibt, wie es ihm gelingt, seine Ehe am Laufen zu halten, ist ihm die Aufmerksamkeit seiner Leser sicher.
Wer die Fakten in seiner Geschichte richtig anordnet wird seine Zuhörer überraschen und sie in seinen Bann ziehen.
Wie Humor in politischen Reden wirkungsvoll eingesetzt werden kann, erfahren Sie im sechsten Teil der Artikelserie „Reden mit Humor“:
- Reden mit Humor (Teil 1) Wann, wie und von wem Humor in einer Rede verwendet werden sollte
- Reden mit Humor (Teil 2) Die Humorformel: Was eine Rede lustig macht
- Reden mit Humor (Teil 3) Die fünf goldenen Regeln zum Gebrauch von Humor in Reden
- Reden mit Humor (Teil 4) Fünf Stellen in der Rede, wo Humor besonders effektiv eingesetzt werden kann
- Reden mit Humor (Teil 5) Anekdoten lustig erzählen
- Reden mit Humor (Teil 6) Humor in der politischen Rede
- Reden mit Humor (Teil 7) Die lustige Trauzeugenrede
- Reden mit Humor (Teil 8) Reden zum Politischen Aschermittwoch
- Reden mit Humor (Teil 9) Die lustige Hochzeitsrede des Brautvaters
- Reden mit Humor (Teil 10) Die lustige Hochzeitsrede des Bräutigams
- Reden mit Humor (Teil 11) Humorvolle Formulierungen für Reden zu Silber- und Goldhochzeiten
- Reden mit Humor (Teil 12) Witzige Rede zur Weihnachtsfeier im Unternehmen
- Reden mit Humor (Teil 13) Humorvolle Rede zum Studienabschluss
- Reden mit Humor (Teil 14) So schreiben Schüler witzige Reden zum Abitur
Ideen für Reden zu Hochzeiten und anderen familiären Anlässen
Hier gibt es Beispiele, Ideen und Vorlagen für Hochzeitsreden, für Trauzeugenreden, Hochzeitsreden als Brautvater, Hochzeitsreden als Trauzeugin oder für Bräutigamreden. Darüber hinaus gibt es Tipps für Hochzeitsreden der Brautmutter oder Hochzeitsreden von Brauteltern. Außerdem finden Sie hier Ideen und Muster für Reden zur Silberhochzeit, für Reden zur goldenen Hochzeit und für Reden zum Geburtstag. Wenn Sie einmal eine Rede zu einem traurigen Anlass halten müssen: Hier finden Sie Vorlagen für Ihre Trauerrede.